Rudi Weissbeck

Thinking in numbers

Malzyklus, Archiverkundung, Collage und Text

„Thinking in Numbers“ ist von einer Sammlung von circa 300 Fotografien von Schuhen meines verstorbenen Großvaters inspiriert. Diese Bilder, die mein Großvater, ein Schuster, vor dem Verkauf der Schuhe aufgenommen hat, haben eine ausgeprägte und ungewöhnliche Ästhetik, die an eine dilettantische Version der Arbeit von Bernd und Hilla Becher erinnert.

Für meine Arbeit erstelle ich Collagen, indem ich Fotos und andere Objekte aus der Werkstatt meines Großvaters auf Hartschaumplatten klebe, die ich mit Acryl und Markern bemale. Diese Collagen kombinieren Elemente des osteuropäischen Teppichdesigns mit Freihandzeichnungen und beziehen auch Rohrschach- und Anime-Elemente ein. Ich verwende auch Lederreste, die mein Großvater benutzte, bevor er aufhörte, Schuhe herzustellen. Bei näherer Betrachtung erkennt man in diesen Fetzen die Umrisse von Schuhen.

Ich habe diese Collagen in mehrere Kapitel unterteilt. Um dieses Konzept der Kapitel zu unterstützen, habe ich neben den anderen Materialien auch drei Kurzgeschichten auf den Hartschaumplatten angebracht. Diese Geschichten basieren auf dem Leben meines Großvaters und Anekdoten aus meiner Familiengeschichte.

Die Arbeit wurde freundlicherweise von der Stiftung Kunstfonds und zweimal von der Hessischen Kulturstiftung unterstützt.
Ein Teil des Archives meines Großvaters.
Ein Teil des Archives meines Großvaters.

„Thinking in Numbers“ ist von einer Sammlung von circa 300 Fotografien von Schuhen meines verstorbenen Großvaters inspiriert. Diese Bilder, die mein Großvater, ein Schuster, vor dem Verkauf der Schuhe aufgenommen hat, haben eine ausgeprägte und ungewöhnliche Ästhetik, die an eine dilettantische Version der Arbeit von Bernd und Hilla Becher erinnert.

Für meine Arbeit erstelle ich Collagen, indem ich Fotos und andere Objekte aus der Werkstatt meines Großvaters auf Hartschaumplatten klebe, die ich mit Acryl und Markern bemale. Diese Collagen kombinieren Elemente des osteuropäischen Teppichdesigns mit Freihandzeichnungen und beziehen auch Rohrschach- und Anime-Elemente ein. Ich verwende auch Lederreste, die mein Großvater benutzte, bevor er aufhörte, Schuhe herzustellen. Bei näherer Betrachtung erkennt man in diesen Fetzen die Umrisse von Schuhen.

Ich habe diese Collagen in mehrere Kapitel unterteilt. Um dieses Konzept der Kapitel zu unterstützen, habe ich neben den anderen Materialien auch drei Kurzgeschichten auf den Hartschaumplatten angebracht. Diese Geschichten basieren auf dem Leben meines Großvaters und Anekdoten aus meiner Familiengeschichte.

Die Arbeit wurde freundlicherweise von der Stiftung Kunstfonds und zweimal von der Hessischen Kulturstiftung unterstützt.
Acryl, Marker, Stoff, zwei 9 x 13 Kodakdrucke auf Hartschaumplatte, 120 x 120 cm, 2020

Installationsansichten, ‚Thinking in numbers‘, Basis Elbestraße, Frankfurt am Main (DE), 2020, 7 Acrylgemälde auf Hartschaumbasis und ein Archiv bestehend aus 9 x 13 Kodakdrucken, kuratiert von Ben Livne Weitzman

Acryl, Marker, Stanzunterlage, zwei 9 x 13 Kodakdrucke auf Hartschaumplatte, 100 x 70 cm, 2020

Installationsansichten, ‚Thinking in numbers‘, Basis Elbestraße, Frankfurt am Main (DE), 2020, 7 Acrylgemälde auf Hartschaumbasis und ein Archiv bestehend aus 9 x 13 Kodakdrucken, kuratiert von Ben Livne Weitzman

„In einer bestimmten Stadt lebte ein Schuster, Martin Avdéitch namentlich. Er hatte ein winziges Zimmer in einem Keller, dessen eines Fenster auf die Straße hinausblickte. Durch es konnte man nur die Füße derer sehen, die vorbeikamen, aber Martin erkannte die Leute an ihren Schuhen. Er hatte lange an diesem Ort gelebt und hatte viele Bekannte. Es gab kaum ein Paar Schuhe in der Nachbarschaft, das nicht ein- oder zweimal durch seine Hände gegangen war, und so sah er oft sein eigenes Werk durch das Fenster.”

aus Dreiundzwanzig Geschichten von Lew Nikolajewitsch Tolstoi

Ein Stapel von Fotografien. Ein Archiv. Rufend, danach fragend, gesehen, gelesen, erinnert, interpretiert zu werden. Neugierde, Faszination, Fetischisierung zu wecken. Auch wenn die Bilder schweigen, setzt eine Stimme ein – ein Pinsel, ein Stift, Lederstücke, zerrissener Stoff – an die Fotografien, zieht neue Linien, die sich von ihrem Rahmen ausbreiten und zu Fasern werden, die zu einem Teppich imaginierter Erzählungen verwoben werden, privat und gemein. Eine Geste des Zurücktretens, eine Erweiterung des Rahmens, die den Fotografen, den Schuster selbst, zur Leiste oder Negativ werden lässt.

Der Schuster fotografiert die Schuhe, die er herstellt. Ein Paar Schuhe und nichts weiter. Und doch hält er einen Schuh in der Hand. Er legt ein Paar Schuhe neben andere auf den Arbeitstisch oder stellt sie vor einen selbstgemachten Hintergrund, wobei er Farben, Muster und andere besondere Merkmale hervorhebt. Nach der Herstellung durch den Schuhmacher aus dem Positiv, der Leiste, der fußähnlichen Holzform, um die herum der Schuh seine Form annimmt, wird jeder Schuh von ihm (neu) gerahmt, auf dem Negativ der Kamera festgehalten, aus der Gebrauchs- und Arbeitswelt in die Welt der Bilder zurückgeholt. Ungetragen, bevor die Zeit die Möglichkeit hatte, sie neu zu formen.

Jede dieser Fotografien wurde aus einem bestimmten Grund aufgenommen, aufbewahrt und gezeigt. Aus dem Negativ entwickelt, wieder positiv geworden. Sie sind dafür bestimmt, im privaten oder öffentlichen Bereich, im Familienkreis oder in der Gemeinschaft bewahrt, aufbewahrt und gezeigt zu werden. Diese Bilder konnten mehrfach oder widersprüchlich verwendet werden, aber wenn der Schuster auf die Fotografien blickt, dann flimmert sein schwaches Spiegelbild auf der glänzenden Beschichtung.

· Ben Livne Weitzman

Installationsdetail, 'Thinking in numbers', Basis Elbestraße, Frankfurt am Main (DE), 2020
Acryl, Marker, Papier and zwei 9 x 13 cm
Kodakdrucke auf Hartschaumplatte, 65 x 65 cm, 2020
Installationsdetail, 'Thinking in numbers',
Basis Elbestraße, Frankfurt am Main (DE), 2020
Acryl, Marker, Papier and zwei 9 x 13 cm
Kodakdrucke auf Hartschaumplatte, 80 x 80 cm, 2020
Installationsdetail, 'Thinking in numbers',
Basis Elbestraße, Frankfurt am Main (DE), 2020
Acryl, Marker, kaputter Rahmen und zwei 9 x 13 cm
Kodakdrucke auf Hartschaumplatte, 90 x 60 cm, 2020

Installationsansichten, ‚Thinking in numbers‘, Basis Elbestraße, Frankfurt am Main (DE), 2020, 7 Acrylgemälde auf Hartschaumbasis und ein Archiv bestehend aus 9 x 13 Kodakdrucken, kuratiert von Ben Livne Weitzman

Acryl, Marker, Lederriemen, zwei 9 x 13 Kodakdrucke auf Hartschaumplatte, 100 x 70 cm, 2020

Installationsansichten, ‚Thinking in numbers‘, Basis Elbestraße, Frankfurt am Main (DE), 2020, 7 Acrylgemälde auf Hartschaumbasis und ein Archiv bestehend aus 9 x 13 Kodakdrucken, kuratiert von Ben Livne Weitzman

Acryl, Marker, zwei 9 x 13 Kodakdrucke auf Hartschaumplatte, 100 x 75 cm, 2020
Acryl, Marker, Kurzgeschichte, zwei 9 x 13 Kodakdrucke auf Hartschaumplatte, 60 x 45 cm, 2020
Detail
Acryl, Marker, Stanzunterlage, Kurzgeschichte, zwei 9 x 13 Kodakdrucke auf Hartschaumplatte, 100 x 75 cm, 2022

Summer time calls for summer work.

In Lüksemburgi this meant tending to the wine.

As a resident of the Caucasus young Oscarovich was, of course, familiar with such tasks. He was jumping at the thought of being able to help and jumping even more to taste the sweet fruit. His mother, Hilde Heinrichova, who is not to be confused with young Oscarovichs later wife, Hilda Jakobova, tasked him to bring a clay pot to her father, young Oscarovichs grandfather Heinrich. This clay pot contained what so many field hands were thirsting for the most during their hard toils on the fields: wine mixed with water.

So young Oscarovich was sent to Heinrich. The way was not far as it simply meant a short trip up a hill. Driven by duty and vigor Oscarovich was sure not to fail. Only to do so at the first sight of his grandfather. As he screamed full of joy “дедушка, дедушка!” he watched in horror as the pot of clay containing the water mixed with wine slipped from his hands and fell onto the ground and into pieces.

Terror grabbed him and he began to cry. Heinrich observed the scene from afar and coming to help he sat the boy unto his lap. But the boys grief could not be stopped nor soothed nor calmed. Looking into young Oscarovich eyes, he said: “Look upon me, for the pot is no longer broken.”

And in front of them the pot came to be. Young Oscarovich would not believe his eyes as his grandfather had accomplished this feat, this magick, directly in front of him. Heinrich only knowingly nodded. A man of medicine and suggestion and fast pot repair he willed the recompletion of the pot into existence. The locals considered him changed after his time spent in Vienna, where he gained his approbation, and during which he was rumored to have spent time with a man named Freud and other members of the occult. People were talking about Heinrichs own cabinet in Lüksemburgi and the screams they said they would hear. For young Oscarovich only awe was left on that day as he became a witness to such powers as he skirted back to his mother.

Years later, as a man, he remembered sneaking into Heinrichs private cabinet. Books of black and white magic lined the sides but most prominent was a carton of surgical instruments standing on a table. In it lay a fine scalpel. More of a lazaret than an occult chamber young Oscarovich concluded later that Heinrich mostly had helped the locals in all their pains. It was a sad room whose owner ended up having an even sadder story. As someone else would later write: “It was a room which if dwelled upon could make you end up full of strange, diffuse compassions and which would lead you to believe that it might be a good idea to wipe out the whole human race and start again with amoebas.”

Acryl, Marker, Stanzunterlage, Kurzgeschichte, zwei 9 x 13 Kodakdrucke auf Hartschaumplatte, 100 x 75 cm, 2022

Photography has always been an act of supression: the first photo of a person did not show the cobbler but his patron it sure did.

Four years before Oppenheimers atom bomb would lighten up the sky young Oscarovich found himself on a traincart. He and his family were participating in a process known as deportation. It was 1941. A german dictator with a loud voice and even louder mustache decided that he had enough of the Soviet Union. The Soviet Union in turn decided it had enough of a hundred thousand Caucasus Germans. So every one of them had to leave. Everyone who was not married to a georgian.

It was a time in which humanity engaged in its favorite pastime: oppressing the other. The Caucasus Germans found themselves on a ferry in the Caspian sea hailing from Baku. But where that ferry was going even the ferrymen did not know. As someone else would later write:

“For two months ethnic Germans from the Caucasus were pointlessly dragged back and forth on the Caspian Sea, and more people, especially children, were dying of starvation. They were just thrown overboard. My four-year-old son was thrown there as well. My other son, seven years of age, saw that. He grabbed my skirt and begged me with tears in his eyes: ‚Mummy, don’t let them throw me in the water. I beg you, leave me alive, and I will always be with you and take care of you when I grow up’… I always cry when I remember that he also died of starvation and was thrown overboard, which he feared so much.”

Heinrich, young Oscarovichs grandfather, was not there to witness this. Four years before this he vanished. In the 1950s Christine Josefova, Heinrichs wife, would find out about her husbands fate in a letter by the esteemed party commitee. The letter announced to her the commitees decision to rehabilitate Heinrich as well as his medical approbation.

In the same letter the commitee also regretted to inform her of Heinrichs passing. Unfortunately he had won the first prize in a political joke contest on the occasion of Lenin’s 1942 birthday in the prison of Tiflis. The nature of the prizes was as follows: the third prize granted the lucky winner three years of labor camp in honor of Lenin, the second prize extended the third prize to seven years in honor of Lenin, while the elusive first prize granted you a personal meeting with the man himself.

Acryl, Marker, Leder, Schaumstoff, zwei 9 x 13 Kodakdrucke auf Hartschaumplatte, 125 x 100 cm, 2022
Acryl, Marker, auf Hartschaumplatte, 90 x 90 cm, 2022
Acryl, Marker, Leder, zwei 9 x 13 Kodakdrucke auf Hartschaumplatte, 80 x 110 cm, 2022
Raucherpause, Acryl, Marker, drei handgeschnitzte Schuhe, auf Hartschaumplatte, 90 x 50 cm, 2021
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